Das System Liebe. This Modern Love. Die freie Marktwirtschaft. Wir sind schlimmer als Huren. Wir sind miese kleine Vertreter, spähen nach Zielgruppen, betreiben Tauschhandel, setzten Verträge auf, vertiefen uns minutiös ins Kleingedruckte, bilden unser Produktimage, ganz nach Saison, Marktlage und individuellem Bedarf, und werben mit dem verlogensten Slogan, den die Welt jemals gesehen hat: "Nimm dir doch einfach, was du willst."
Ja, nimm dir was du willst, nimm sie aus, hol dir, was du kriegen kannst, und wenn du genug hast, zieh weiter durch den fantastischen Supermarkt, durch die freie Marktlandschaft da draußen, in Bars, Clubs, auf der endlosen Einkaufsmeile des Lebens ; bestimmt bekommst du was Besseres, als das, was du gerade hast: frischeres Fleisch, klarere Augen, festere Muskeln, weniger Rückgrat, weniger von den zähen grauen Zellen.
Leg dir ein Profil an, definiere dein Ziel, und dann beginnt die minutiöse Marktanalyse. Vielleicht hast du ja heute Glück und du ziehst den Big Deal an Land, Komplettpaket samt Penetration, und wer am meisten Sperma per Sekunde loswird, ist der Mitarbeiter des Tages. Kann es etwas Befriedigenderes geben?
Wenn dir das alles doch ein bisschen zu heftig ist, kannst du ja noch ein Fair Trader sein. Gib erst was, wenn du was dafür bekommst. Ist doch easy, alles im grünen Bereich. Sie gibt dir Sex, du gibst ihr Prestige. Sie gibt dir ihren Körper, du gibst ihr einen schlechten Ruf, denn, hey, ihr wusstet beide, worauf ihr euch einlasst, und ist der Ruf erst mal ruiniert, dann lebt es sich ganz ungeniert, also, im Grunde hast du, der Fair Trader, sie nur befreit. Der große Befreier, mit ausgebreiteten Armen. Und in deinem Kopf die genialste Kundenanalyse der Welt: Wenn das Chick da hinten nett zu dir ist, dann auf jeden Fall nur, um deine famose Plattensammlung zu bewundern: "Hey Mr. DJ, ich wollte schon immer wissen, wie diese Band heisst, und übrigens ab genau jetzt deine Sklavin sein, um die drei Euro Eintritt in diese famose Vorstadtdisse zu sparen, und Vodka Brause bis zum Koma zu trinken."
Jugend und System. Die Jugend, zugedröhnt und abgestumpft, hängt im Club, um die grausame Realität zu vergessen, den Verfall vom einstigen Homo sapiens zu Herrn Müller, den Vertreter, der spätestens mit dreißig die Corporate Identity mit einem & dazwischen, danach die ... wie hiess das damals... Familie, heute: das gutfunktionierende Unternehmen, gegründet haben will. Die Jugend, die wählen muss: Bin ich der aggressive Broker, der den Index wittert, die Beute erlegt, bevor die Kurse fallen, bin ich ein Fair Trader, oder bin ich Herr Müller? Die Jugend, die so gerne menschlich wäre, aber niemals gelernt hat, wie das geht, die statt Liebe, natürlich, ewig und bedingungslos, niemals versiegend, nichts als Verträge, Handel, Tausch und freie Marktwirtschaft, Kapitalismus im Übergang zum Kannibalismus, erfahren hat, hängt nun am Tropf des Surrogats für Leben, virtuelle Welten, Drogen, Musik, bis Trommelfelle platzen, und doch verstummt der ewige Slogan nie: Nimm dir doch einfach, was du willst...